Das Cello "Bruno"

„Ein Cello namens Bruno“ – oder: Wenn Instrumente mitreden

Leonhard war Cellist. Nicht irgendeiner – sondern ein Veteran des Cellos, mit jahrzehntelanger Bühnenerfahrung, einem beeindruckenden Schnauzer und einer Vorliebe für Pfeifentabak, der nach Vanille duftete. Auf dem Kopf trug er zwar nur noch einen dünnen Haarkranz, doch in seinem Herzen war er ein musikalischer Löwe.

Sein treuer Begleiter seit über 30 Jahren: ein Cello namens Bruno.

Natürlich wusste niemand außer Leonhard, dass Bruno tatsächlich… sprechen konnte. Zumindest manchmal. Meist dann, wenn Leonhard seine musikalischen „Kreativphasen“ hatte – jene Momente, in denen er versuchte, Bach mit Blues, Barock mit Bossa Nova oder gar Vivaldi mit Vogellauten zu kombinieren.

Bruno war ein Cello alter Schule. Mahagoni, glänzend lackiert, ein Korpus wie aus dem Bilderbuch – und die Seele eines Wiener Konzertmeisters. Jazz duldete er, solange es geschmackvoll war. Aber als Leonhard eines Abends in seinem Musikzimmer saß, mit der Pfeife im Mundwinkel und einer abenteuerlichen Partitur vor sich, platzte Bruno der Geduldsfaden.

„Leonhard“, brummte das Cello plötzlich mit tiefem Ton aus dem Resonanzloch, „wenn du noch einmal versuchst, einen Walzer im 5/4-Takt zu schreiben, lege ich mich freiwillig in den Dachboden.“

Leonhard erschrak so sehr, dass ihm die Pfeife beinahe aus dem Mund fiel. „Bruno?! Du… du kannst sprechen?“

„Seit 1989. Du hörst nur nie richtig zu, weil du immer in deine eigenen Klangexperimente vertieft bist! Und was war das gestern? Eine Cellosonate mit Kazoo-Begleitung? Ich bin ein Streichinstrument, kein Zirkusgast!“

Leonhard musste lachen. Ein warmer, tiefherziger Lacher, der das Musikzimmer erfüllte wie ein gutes Vibrato. „Ach Bruno, du alter Holzwurm. Vielleicht hast du recht. Vielleicht sollte ich mal wieder einfach… Bach spielen.“

„Endlich“, seufzte Bruno, und man hätte schwören können, dass er sich ein wenig entspannte.

Seit diesem Tag kehrte ein gewisser musikalischer Frieden ein. Leonhard spielte wieder mehr klassische Stücke, seine Pfeife rauchte leise im Takt, und Bruno klang wärmer denn je. Ab und zu erlaubte er sogar einen kleinen Jazz-Ausflug – solange niemand versuchte, ihm ein Effektpedal anzuschließen.

Und wenn es abends ganz still wurde, war im Musikzimmer nur das Knistern der Pfeife zu hören – und ein leises, zufriedenes Summen aus dem Cello.


„Bruno auf Reisen“ – Die Rückkehr des Widerspruchs

Ein paar Monate waren vergangen, seit Leonhard und Bruno ihren musikalischen Waffenstillstand geschlossen hatten. Die beiden verstanden sich besser denn je – fast wie ein altes Ehepaar. Bruno bekam täglich eine Politur mit speziellem Öl („nicht zu viel, ich bin kein Salat“, mahnte er regelmäßig), und Leonhard genoss wieder die einfachen Freuden der Musik – ganz ohne Kazoo oder Effektgerät.

Doch dann geschah etwas Unerwartetes: Leonhard wurde eingeladen, bei einem kleinen Musikfestival in Südtirol aufzutreten – „Cello & Berge“, eine charmante Veranstaltung, bei der Musiker in urigen Berghütten aufspielten, während das Publikum auf Heuballen saß und sich Käsehäppchen reichte.

„Das wird herrlich!“, freute sich Leonhard, während er seine Pfeife stopfte. „Frische Bergluft, gutes Essen, und du, Bruno, kommst natürlich mit!“

Bruno war entsetzt.

„WAS?! Eine Berghütte?! Ich bin kein Alphorn! Was ist mit Luftfeuchtigkeit? Holzwürmer?! Und wenn du mich wieder im Kofferraum vergisst wie letztes Jahr beim Weihnachtskonzert, bin ich sofort Blockflöte!“

Aber Leonhard ließ sich nicht beirren. Bruno wurde sorgsam in einen gepolsterten Kasten gelegt, mit Lavendelsäckchen gegen schlechte Laune und einer kleinen Heizung gegen feuchte Berghütten. Und tatsächlich: Die Reise verlief erstaunlich ruhig – abgesehen von Brunos regelmäßigen Kommentaren bei jedem Schlagloch („Meine Wirbel! Das ist Folter!“).

In der Hütte angekommen, bereitete Leonhard sich auf das Konzert vor. Er zündete sich eine Pfeife an, ließ den Blick über die Berge schweifen und seufzte zufrieden.

„Weißt du, Bruno“, murmelte er, „es gibt nichts Schöneres, als Musik in der Natur.“

Bruno antwortete nicht sofort. Vielleicht, weil ihm die Aussicht wirklich gefiel. Vielleicht, weil er ein wenig sentimental wurde, wenn der Sonnenuntergang die Decke golden färbte.

Dann, ganz leise: „Wenn du heute Abend nur Bach spielst, sag ich nichts, wenn du morgen ein bisschen Dvořák versuchst.“

Leonhard grinste. „Abgemacht.“

Und so erklang an diesem Abend in der Hütte ein Cello – warm, klar, voller Leben. Die Zuhörer lauschten andächtig. Sie wussten nicht, dass sie Zeugen eines seltenen Moments waren: einer wahren Freundschaft zwischen Mensch und Instrument. Und einem Cello, das heimlich die Bergluft genoss – auch wenn es das natürlich nie zugegeben hätte.


„Bruno und das E-Cello – Strom statt Seele?“

Nach dem erfolgreichen Konzert in Südtirol kehrten Leonhard und sein treues Cello Bruno entspannt in ihr Zuhause zurück. Die Pfeife rauchte wieder gemütlich im Musikzimmer, und Bach klang aus dem offenen Fenster in den Garten hinaus. Alles war wieder so, wie es sein sollte.

Bis zum Dienstag.

An jenem Dienstag kam Leonhard von einem Besuch beim Musikladen zurück – mit einem breiten Grinsen und einem Karton unter dem Arm.

„Bruno, mein Lieber, ich habe Nachwuchs gekauft!“

Bruno, der seelenruhig auf seinem Ständer ruhte, runzelte innerlich die Decke. „Nachwuchs? Was soll das heißen? Etwa… einen Schüler?“

„Nein, noch besser: ein E-Cello! Schau, voll modern, mit Tonabnehmer, Kopfhöreranschluss, integrierter Hall-Effekt! Es heißt Vibrotronix.“

Bruno erstarrte. „Vibro… was?!“ Und da betrat das E-Cello auch schon das Zimmer.

Sleek, schwarz glänzend, mit LED-Leisten an den Zargen, und einer Stimme, die wie ein Bluetooth-Lautsprecher mit Selbstvertrauen klang: „Hi Leute! Bin Vibrotronix, nenn mich einfach Vib. Bereit für die Bühne? Ich mach Metal, Lo-Fi, Techno und barocke Trap-Beats. Wer von euch ist der Opa hier?“

Bruno war fassungslos. „Ich bin kein Opa. Ich bin ein handgefertigtes Meisterstück mit jahrzehntelanger Klanggeschichte. Und du bist… ein Fitnessgerät mit Saiten!“

„Chill, Alter! Ich bin kabellos. Ich kann über WLAN Mozart streamen und dabei im Dunkeln leuchten. Versuch das mal mit deinem Korpus aus dem 19. Jahrhundert!“

Leonhard merkte, dass die Stimmung kippte. Er setzte sich dazwischen und sagte: „Kinder, benehmt euch. Ich wollte doch nur, dass ihr beide euch ergänzt! Bruno – klassisch und gefühlvoll. Vib – jung, experimentierfreudig.“

Aber Bruno war beleidigt. Er klang stumm.

Am Abend aber, als Leonhard im Garten war und Vib irgendwo über ein Handy Beats spielte, hörte man ein tiefes, melancholisches Brummen aus Brunos Resonanzkörper. „Ich bin vielleicht alt. Aber ich habe Klangtiefe. Seele. Geschichte. Und ich schwinge – nicht vibriere.“

Und siehe da – Vib schlich sich neugierig näher. „Sag mal, wie macht man diesen einen Ton? Den da, wo’s einem Gänsehaut gibt?“

Bruno seufzte, ein wenig stolz. „Du meinst den Cantabile-Bogenstrich. Komm her, ich zeig dir was.“

Leonhard betrat später das Zimmer – und traute seinen Augen nicht: Das E-Cello stand still neben Bruno, beide verbunden durch ein altes Notenbuch, das aufgeschlagen auf dem Pult lag.

Seitdem darf Vib beim Üben oft mitmachen – nicht immer zur Freude Brunos, aber mit wachsender Toleranz. Manchmal üben sie sogar gemeinsam ein Duo – wenn Vib seine LEDs ausschaltet und sich auf das Wesentliche konzentriert: den Klang.

Und Bruno? Der nennt Vib jetzt „den jungen Stromer“ – aber mit einem leisen Schmunzeln im Ton.